Wie frei ist ein Freiberufler wirklich?
Außer Spesen nichts gewesen!
- Ich bin ein kreativer Freiberufler.
- Ich lasse in diesem Artikel meine persönlichen Erfahrungen mit einfließen.
- Ich sehe eine Entwicklung, die mir Sorgen bereitet.
Als sogenannter Freelancer wird man hier beneidet und dort belächelt. Immer öfter jedoch wird man praktisch dazu gezwungen, sich unter Wert zu verkaufen. Ganz einfach, weil die Marktsituation nicht mehr hergibt. Dabei gibt es rund anderthalb Millionen von meiner Sorte.
Klar, darunter befinden sich auch Anwälte und Ärzte, Apotheker und Informatiker, Bauingenieure und Chemiker. Aber hier soll es allein um die Freiberufler in Kreativberufen gehen, von denen es immerhin über 500.000 Exemplare in Deutschland gibt, z.B. Fotografen, Texter, Musiker, Designer, Grafiker, Schauspieler, Regisseure, Journalisten, Maler, IT-Experten, Bildhauer, Eventplaner und Autoren. Tendenz steigend!
Das noch junge Netzwerk NOOK NAMES will sich meiner „Spezies“ annehmen und den Qualitätsgedanken wieder in den Vordergrund einer leider kaum geführten Debatte rücken. Wobei: Die grundsätzliche Problematik betrifft eigentlich die gesamte Kreativbranche, das heißt auch Einzelunternehmer, Gewerbetreibende, Agenturen und Bürogemeinschaften.
Unbestreitbare Vorteile, allerlei Nachteile
Als Freelancer habe ich es eigentlich gut, denn ich kann so gesehen tun und lassen, was ich will. Daher der Neid! Kein Chef schaut mir über die Schulter und weist mich zurecht. Ich habe weder Umsatzziele noch Dresscodes zu erfüllen. Je nach Auftragslage kann ich auch wochentags einfach mal ausschlafen, in den Park gehen oder mich einem meiner Hobbys widmen. Ja, es lässt sich mit diesen Hobbys unter Umständen sogar Geld verdienen, wenn ich dem Finanzamt eine Gewinnerzielungsabsicht glaubhaft vermitteln kann. In meinem Fall ist dies die Fotografie, die mir aber nur wenige hundert Euro im Jahr zusätzlich einbringt.
Also machen wir uns nichts vor: Das ist nicht mehr als ein Tropfen auf dem heißen Stein. Lediglich die unter Umständen steuerliche Absetzbarkeit von Materialkosten und Geschäftsessen, technischem Equipment und teuren Eintrittskarten reißt zumindest ein bisschen was raus. Aber wie eine halbe Million Kollegen stehe ich weitgehend alleine da. Denn ich weiß weder eine Lobby noch einen Tarifvertrag hinter mir, verdiene im Urlaubs- und Krankheitsfall gerade mal nullkommanull Cent, finde mich in keiner Arbeitslosenstatistik wieder und muss mich selbst um meine Kranken-, Sozial, Pflege-, Rechtschutz- und Berufsunfähigkeitsversicherung kümmern.
Unsere Klientel, das sind Werbe- und Eventagenturen, mittelständische Unternehmen oder die Marketingabteilungen größerer Konzerne. Selbst Letztere verlangen in immer häufigerem Maße kostenlose Probeaufträge, unbezahlte Pitchteilnahmen oder zumindest Referenzen, mit denen man dasteht, als hätte man gerade „Deutschland sucht den Superstar“ gewonnen. Und dann gibt es da noch all die digitalen Makler und Vermittler, die genauso wie Personaldienstleister satte Provisionen kassieren und ihre Zuarbeiter unterdessen mit nicht viel mehr als einem Hungerlohn abspeisen.
Als „Mann der Worte“ rate ich Ihnen einfach mal, sich die Geschäftsbedingungen für Freelancer von www.textbroker.de anzusehen und selbst darüber zu entscheiden, inwieweit dort faire Preise bezahlt werden. Denn nie und nimmer lässt sich hier als Copywriter ein Stundensatz erzielen, der auch nur ansatzweise mit dem gesetzlichen Mindestlohn vergleichbar ist.
In meiner „Freizeit“ mache ich also zusätzlich den DJ, Moderator, Filmkomparsen und Touristen-Guide. Ich bin somit längst in „amerikanischen Verhältnissen“ angekommen, weil ein Job alleine einfach nicht ausreicht, um sich in der Kreativbranche ordentlich durchschlagen zu können.
Digitale Revolution und abflauender Arbeitsmarkt
Gehen wir mal einen Schritt zurück: Wie kam es überhaupt dazu, dass der Markt für kreative Freiberufler immer weiter wächst, während die Auftragsvolumina immer weiter zurückgehen? NOOK NAMES umschreibt es damit, dass heutzutage praktisch jeder ein „digitaler Nomade“ werden und sich als solcher dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stellen könne.
Da ist etwas Wahres dran! Denn wo früher trotz kreativer Kopfarbeit ein gewisses Maß an „Handwerk“ gefragt war, lässt sich heutzutage fast alles selber machen. Während die Kunst praktisch schon immer ein hartes Brot war, sehen sich heute aber auch die Konzeptioner, Gestalter, Marketingexperten und Eventplaner einer Konkurrenz ausgesetzt, die kaum mehr zu fassen ist.
Schreiben kann im Prinzip sowieso jeder, dank digitaler Technologie aber auch verblüffende Fotos machen, eine halbwegs professionelle Webseite gestalten, einen netten Song arrangieren oder ein superlustiges Video drehen. Dies führt zu einer überbordenden Konkurrenzsituation unter den Kreativleuten. Gut ist, was gefällt, und praktisch „jedermann“ kann auf einem Markt mitmischen, auf dem mehr und mehr Amateure schlichtweg die Preise kaputt machen.
Jeder kann es, jeder will es
Natürlich sollte jeder seine Chancen nutzen können, aber auch unter den Kreativen gibt es eine Menge „schwarzer Schafe“. Aus der Not heraus bieten diese ihre Leistungen nicht etwa schwarz an, sondern tatsächlich kostenfrei. Man stelle sich mal vor, dass man sich das Badezimmer neu verfliesen lässt und nur bei subjektivem Gefallen bereit ist, eine gewisse Geldsumme dafür zu zahlen.
Undenkbar? Nicht im heutigen Kreativ- und Ideenmarkt! Allzu viele meiner Art gehen nämlich damit konform, dass zumindest der erste Job probeweise zu erfolgen hat. Pitchhonorare zahlt sowieso keine Agentur mehr, also prostituiert man sich und hofft bestenfalls auf einen bezahlten Folgeauftrag, auf den man in der Regel aber bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag warten kann, da man die geforderte Arbeitsleistung sowieso schon umsonst erbracht hat. Ob das nun ein echter Test war oder unter die Rubrik Ausbeuterei fällt, wird man dabei leider nicht erfahren.
„Wir können das Projekt nun doch intern bearbeiten“ oder „Der Kunde will doch die preisgünstigere Variante“ heißt es als Erklärung, wenn man denn mal überhaupt eine Antwort auf eine berechtigte Nachfrage erhält.
Der freie Beruf im rechtsfreien Raum
Bislang rein ehrenamtlich sind Phil Meinwelt und Jonas Drechsel von NOOK NAMES vorgeprescht, um eine Lobby für die vernachlässigte Berufsgruppe der kreativen Freelancer zu schaffen. Nun, nach über drei Jahren, versuchen sie über die Crowdfunding-Plattform Startnext Geld für den weiteren Ausbau ihres Angebots zu erhalten. Ich persönlich wünsche Ihnen viel Glück dabei, denn ihr Anspruch spricht mir aus der Seele.
Denn so gesehen richtet sich der Appell von NOOK NAMES auch an die Politik, da der Kreativmarkt weder Regulierungen noch Tarifvereinbarungen kennt. Er ist sozusagen ein rechtsfreier Raum. Kaum jemand in den Chefetagen der Unternehmen zeigt darüber hinaus Verständnis dafür, wie sich die angeblich „ach so hohen“ Tagessätze von Freiberuflern zusammensetzen. Dabei ist es eigentlich ganz einfach: Mieten, Fahrtkosten, Rücklagen, Strom, Technik, Software, Marketing, Werbung, Versicherungen, Telekommunikation usw. Noch Fragen?
Ganz wichtig in diesem Zusammenhang: Es ist noch überhaupt kein Geld geflossen bei all diesen fixen Ausgaben. Es wird auch nicht honoriert, dass man studiert hat, sich weiterbildet, ein Instrument erlernt, eine Technik beherrscht, sich tagelang in ein Thema einarbeitet oder wochenlang etwas einübt. Zeit ist Geld, heißt es so schön, aber unbezahlte Arbeitszeit kennt der Festangestellte nun mal nicht.
NOOK NAMES als Retter einer Branche?
Zwar gibt es bereits eine Reihe von Businessnetzwerken, auf denen sich auch Freelancer tummeln, aber nur wer dort „ordentlich Sales generiert“, kann sich offenkundig im Markt etablieren. Freilich kann man entgegenhalten, dass niemand zu seinem freiberuflichen Dasein gezwungen wird, die Entscheidung dafür selbstgewählt ist und mit allerlei Vorteilen einhergehen mag, was etwa die laufende Tages- oder Wochenplanung angeht.
NOOK NAMES zufolge sollte dies jedoch kein Grund sein, die problematische Situation zu ignorieren. So hat man fünf zentrale Probleme identifiziert, mit denen sich die Kreativbranche dieser Tage abmüht:
- Job- und Konjunkturflauten
- Berufliche „Unsichtbarkeit“
- Falsche Kontakte und ineffektives Netzwerken
- Bürokratische Hürden für Einzelunternehmer
- Unangenehme Kaltakquise
Wenn gleich mehrere dieser Probleme auf der Tagesordnung stehen, sieht so mancher bereits kein Licht mehr am Ende des Tunnels. „Lieber den Spatz in der Hand …“, heißt es dann und der sogenannten Kreativprostitution ist Tür und Tor geöffnet. Um beruflich wie privat überleben zu können, werden unzumutbare Tagessätze akzeptiert sowie auf Anfrage Wochenend- und Nachtschichten eingeschoben. Die zum Teil aufwändige Einarbeitung in neue Thematiken wird dabei genauso wenig honoriert wie die Zeit, die man im Auto, im Zug, auf Meetings, Kongressen, bei Brainstormings und am Telefon verbringt.
Kreativprostitution als No-Go
NOOK NAMES will dabei helfen, die Kreativprostitution abzuschaffen. Die Networker bieten einen Social-Newsroom und eine eigene Seite für Auftragnehmer und -geber. Über die bislang 14 NOOK AGENCY EVENTs, die in Berlin, Hamburg, Köln und Wien stattgefunden haben, werden neue Möglichkeiten der Akquise geschaffen. Darüber hinaus stehen regelmäßige NOOK IMPULSE MEETINGs auf dem Programm, wo sich Freelancer untereinander und mit potenziellen Auftraggebern austauschen können. Desweiteren soll die „Sichtbarkeit“, das heißt die Marktpräsenz von Freelancern über verschiedene Kanäle wie Events, Blogs, Facebook und Newsletter gestärkt werden.
Da Phil Meinwelt und Jonas Drechsel innerhalb des Netzwerks natürlich die Spreu vom Weizen trennen wollen, muss man sich für eine Mitgliedschaft bewerben und kann sich nicht einfach so registrieren. Es soll ja schließlich um Kreativqualität gehen und dem ohnehin schon unkontrollierten Markt nicht noch Vorschub geleistet werden. Die Bewerbungskriterien lassen sich hier einsehen.
Langfristiges Ziel von NOOK NAMES ist eine Etablierung des Netzwerks als eine Art „Google“ bei der Suche nach fähigen Kreativköpfen, um perfekte Matches zwischen Auftraggebern und Freelancern zu erzielen. Es bleibt natürlich abwarten, ob man diesem hehren Anspruch gerecht werden und den großen, branchenübergreifenden Netzwerken wie XING oder LinkedIn als Spezialist Paroli bieten kann. Der derzeitige Freelancer-Pool besteht aus rund 600 Personen.
Natürlich hat jeder mal klein angefangen und das Engagement von NOOK NAMES mag für alle auf kreative Qualität bedachte Freiberufler erst einmal Gold wert sein… Genauso aber steht zu befürchten, dass eine kleine, wenn auch engagierte und mit viel Leidenschaft getragene Initiative irgendwann ihr „natürliches Ende“ findet.
Ich persönlich hoffe, dass es nicht so kommt und sich Phil Meinwelts Meinung herumspricht: „Vielen guten Freelancern fehlt der Kontakt zu den Agenturen und sie kommen nicht dazu, ihr Können zu präsentieren. Man landet immer nur im Pool. Wir wollen aber nicht baden gehen. Wir wollen talentierten Leuten die Türen öffnen.“
Ein persönliches Fazit zum Schluss
Als kreativer Einzelunternehmer hat man es nicht leicht, ganz im Gegenteil! Man hat einfach nur eher die Wahl, das zu tun, was man möchte. Schlussendlich hat man die Freiheit „nein“ zu sagen, aber auch nur dann, wenn man es sich leisten kann. Ich persönlich finde es nicht verwerflich, dass ich lieber in mehreren Branchen arbeiten will als auf einem einzigen Etat!
Ich kenne niemanden, der derzeit große Sprünge macht, aber viele Agenturen, die sagen „Du, wir haben da gerade einen Werksstudenten, der sowas von geil auf seine Arbeit ist und uns auch noch Kopien macht und Kaffee kocht“. Ich gratuliere zur Zufriedenheit mit wenig und hoffe dennoch, dass das Netzwerk NOOK NAMES seinen Weg gehen wird. Denn wir sind keine dahergelaufenen Typen, die am Ende der Veranstaltung den Hut rumgehen lassen. Wir sind Vordenker, Handwerker, Meinungsbildner, Trendsetter und Ideengeber! Wir sind kreative Freiberufler und verstehen etwas von unserem Job!
Das könnte Sie auch interessieren:
- Der Applaus – das Brot des Künstlers?
- Spielen Sie mit? Werte und Haltung unserer Branche auf dem Prüfstand
- Pitches: Chemie, nicht Mathematik
Bilderquelle: Phil Meinwelt/philmeinwelt.com