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Destinationen

Missstimmung durch Massentourismus

Überlastung und Überforderung: Viele Destinationen stehen am Scheideweg

Wir berichteten bereits über Top-Destinationen, die den Ansturm von Urlaubern und Geschäftsreisenden, Kreuzfahrttouristen und Kongressbesuchern kaum mehr stemmen können. Vielerorts droht ein infrastruktureller Kollaps, während die einheimische Bevölkerung steigende Preise und einen Verlust der eigenen Lebensqualität fürchtet. Europäische Vorzeigebeispiele dieser Entwicklung sind Destinationen wie Barcelona, Palma de Mallorca, Venedig, Amsterdam, Dubrovnik oder Reykjavik.

„Island als ‚Opfer‘ des Massentourismus?“, mögen Sie nun denken, doch absolute Zahlen sind immer verhältnismäßig zu betrachten. Fakt ist, dass auf jeden der nicht mal 350.000 Einwohner des Landes im Jahr 2000 noch knapp ein Urlauber pro Jahr kam. Heute sind es mehr als vier und fast alle der 1,5 Millionen Gäste landen am Flughafen Reykjavik innerhalb einer sehr kurzen Saison. Zwar ist der Tourismus binnen weniger Jahre zu Islands wichtigstem Wirtschaftszweig aufgestiegen, aber mit zunehmender Verknappung der Kapazitäten erhöhen sich auch die Preise vor Ort. Ein Problem, das weniger die gut betuchten Reisenden betrifft als die Einheimischen, die nicht unmittelbar vom Tourismus profitieren.

Beispiele dieser Art gibt es inzwischen viele in Europa, aber auch anderenorts auf der Welt – zum Beispiel in Asien, wo der Anteil an Besserverdienern und damit die Reiseintensität Jahr für Jahr zunehmen. Oder in Kuba, wo man nach der politischen Öffnung gen Westen eine touristische „Masseneinwanderung“ seitens der USA erwartet. Tourismusexperten befürchten, dass die Natur und die Menschen des Landes davon am wenigsten profitieren werden.

Ursachenforschung und Lösungsansätze

Eine der führenden Plattformen für die globale Tourismusindustrie nennt sich Skift. Das Netzwerk mit Sitz in New York hat sich in einer großangelegten Studie des Themas „Massentourismus und seine Folgen“ angenommen. In Zusammenarbeit mit führenden Experten wurden mögliche Lösungswege veröffentlicht, um dem touristischen Dilemma Herr zu werden. Dazu ging man zunächst natürlich den Ursachen auf den Grund.

Fakt ist: Seit Beginn dieses Jahrtausends haben sich die Ankunftszahlen an internationalen Flughäfen fast verdoppelt. So sieht man sich vielerorts mit negativen sozialen, ökologischen, aber auch kulturellen Auswirkungen konfrontiert. Hier und da spürt man als Reisender sogar erste „fremdenfeindliche“ Ressentiments, wodurch das Image einer Destination selbstredend Schaden nimmt. Nur können die Touristen am Ende am wenigsten dafür, was Behörden und Politiker, Stadtplaner und Infrastrukturexperten, Marketingbüros und Reiseveranstalter nicht haben kommen sehen oder verbockt, wenn nicht sogar bewusst herbeigeführt haben.

EplerWood International (EWI) ist eine der weltweit führenden Institutionen zur Förderung nachhaltiger Tourismuskonzepte. Gründerin Megan Epler Wood kritisiert, dass bis heute rund 80 Prozent aller steuerlich erzielten Gewinne aus dem Tourismussektor ins Marketing fließen. Geld, das besser dafür verwendet werden sollte, umwelt- und sozialverträgliche Strukturen zu schaffen. „Destinationen bewusst managen statt bloß vermarkten“ lautet ihr Credo. Auch die fehlende Zusammenarbeit zahlreicher Tourismusbehörden und DMCs mit lokalen Interessenverbänden und Bürgerbewegungen bemängelt die US-Expertin. „Es fehlt aber nicht nur am Networking“, betont sie. „Es gibt bis heute leider keine zuverlässige Methode, um den touristischen Impact losgelöst von der sonstigen Entwicklung einer Destination zu messen.“

Kein Ende des Wachstums in Sicht

Für den anhaltenden Tourismusboom gibt es zahlreiche Gründe, auf die wir hier nicht im Detail eingehen wollen. Hohe Einkommen hier, billige Flüge dort, marktverzerrende Angebote und eine hohe Auslandskaufkraft. Auch die Digitalisierung hat ihren Anteil an der aktuellen Entwicklung. So wird die Reisebuchung immer einfacher und komfortabler, während Homesharing-Angebote à la Airbnb Reisen auch zum kleinen Budget ermöglichen. Hinzu kommen virale Marketingeffekte in den sozialen Medien, die einen spannenden Geheimtipp innerhalb weniger Jahre zum überlaufenen Hot Spot machen können.

Ein Aspekt verdient dennoch besondere Beachtung: Der boomende Kreuzfahrttourismus mit immer neuen Schiffgiganten, aus denen Tag für Tag tausende Touristen auf kleine Inseln und in ohnehin schon überfüllte Städte strömen. Allein in Barcelona ist die Anzahl an Kreuzfahrern seit dem Olympia-Jahr 1992 von jährlich knapp 100.000 auf fast 3 Millionen gestiegen. Für andere Ankerpunkte im Mittelmeer gelten ähnliche Zahlen. Und nicht zu vergessen: Die Start- und Zielpunkte der Ozeanriesen wollen auch erstmal angeflogen werden.

Passend dazu ist in Venedig unterdessen ein Streit über den geplanten neuen Terminal „Venis Cruise 2.0“ entbrannt. Das Projekt soll dafür sorgen, große Kreuzfahrtschiffe aus der Lagune zu verbannen und diese nicht mehr durch den Guidecca-Kanal vorbei am Markusplatz fahren zu lassen. Gleichzeitig befürchten Umweltschützer negative Auswirkung durch den Ausbau, zumal die Gesamtkapazität ankommender Gäste am Ende weiter erhöht wird.

Die Dienstreise ist kein Ausweg

„Inwieweit betrifft das massentouristische Phänomen überhaupt die MICE- und Eventbranche?“, mag man sich jetzt fragen. Doch der Anteil an Dienst- und Geschäftsreisen am internationalen Tourismus beträgt allein in Deutschland fast 25 Prozent. Natürlich ist es in erster Linie die große Stadt und nicht das abgelegene Fischerdorf, das diese Statistik „frisiert“. Trotzdem gilt es zu berücksichtigen, dass nicht wenige Geschäftsreisende ihren dienstlichen Trip mit einem privaten Aufenthalt verbinden, am ehesten dann, je weiter entfernt das Ziel ist.

Interessant ist in diesem Zusammenhang ein Zitat von Tom Jenkins, dem CEO der European Tour Operators Association: „Urlauber und Geschäftsreisende verhalten sich auf Reisen im Grunde genommen gleich, nämlich anders als zu Hause“, konstatiert er. „Jeder Trip unterbricht den normalen Alltag. Insofern sind viele Destinationen darauf eingestellt, genau dies zu ermöglichen − was oft zu Lasten der einheimischen Bevölkerung geht.“

Limitation statt Expansion

Keine Redewendung passt wohl besser zum aktuellen Tourismusgeschehen als „Säge nie den Ast ab, auf dem du sitzt!“ Einerseits will man die Einnahmen aus dem Tourismus weiter steigern und allen Gästen das bestmögliche Reiseerlebnis bieten. Andererseits soll die Attraktivität einer Destination ja nicht unter der „Masseneinwanderung“ leiden. Und wenn die eigene Bevölkerung sich gegen den Tourismus zu organisieren beginnt, wird es ohnehin ganz schwierig. Wo also den Hebel ansetzen?

Zweifelsohne sind viele, den Tourismus begünstigende Faktoren, so gut wie nicht beeinflussbar: weder die Währung im eigenen Land noch die Preispolitik internationaler Airlines, weder Bewertungssysteme im Internet noch das globale Trendgeschehen. In extrem belasteten Destinationen muss laut Tom Jenkins daher mit Blick auf das Allgemeinwohl der Bevölkerung und das Reiseerlebnis der Touristen an einer Limitierung des Angebots gearbeitet werden.

Ein Versuch in diese Richtung wurde in Amsterdam unternommen. Hier ist die Eröffnung neuer Souvenirshops und Touristenunterkünfte in der Innenstadt seit 2016 weitgehend untersagt, um weiterhin auch die Alltagsbedürfnisse der lokalen Bevölkerung erfüllen zu können. Die Maßnahme soll ebenso die lokale Wirtschaft schützen, etwa kleine Supermärkte, Handwerksbetriebe, Galerien und Boutiquen. London und New York haben ähnliche Pläne, setzen dabei aber auf eine breitere Verteilung der Touristenströme durch eine gezielte Vermarktung innenstadtferner Bezirke wie Kensington oder Brooklyn. Inwieweit solche Vorhaben Erfolg haben werden, sei jedoch dahingestellt. Für aufgeschlossene und erkundungswillige Besucher mag das einen gewissen Charme mit sich bringen, aber die bekanntesten Sehenswürdigkeiten der Welt lassen sich nun einmal nicht „umparken“.

Exotische Ziele als Vorbild?

Man will sie ja gerne weiterhin begrüßen, die gebildeten, kultivierten und besserverdienenden Gäste, die aber leider als erstes Reißaus nehmen, wenn die touristische Massenkultur Überhand zu nehmen droht. In der Skift-Studie wird daher der Ruf nach besserer Aufklärung und realistischerem Marketing laut. Natürlich sollte Sehenswürdigkeit X oder Naturdenkmal Y auch weiterhin beworben werden dürfen, aber eben mit dem Hinweis darauf, dass Wartezeiten von drei Stunden zur Hauptsaison die Regel und Fotografien ohne „störende Menschenmengen“ kaum zu realisieren sind. Ein nett gemeinter Vorschlag, der leider unrealistisch erscheint.

Viel restriktiver gehen internationale Touristenattraktionen wie die Galapagos-Inseln oder Machu Picchu in Peru vor. Hier dürfen nur bestimmte Kontingente an Besuchern pro Tag passieren. Dazu ziehen die Preise zur Hauptreisezeit kräftig an. Aus einem einfachen Grund: Man hat keine andere Wahl, um all das intakt zu lassen, weswegen die Menschen am Ende hierherkommen. Können aber ausgerechnet abgelegene südamerikanische Destinationen als Vorbild für das ohnehin schon dichtbevölkerte Europa dienen? Tom Jenkins meint: „Ja“.

Denn Reglementierung muss sein, wenn das Reiseerlebnis nicht leiden soll. Höhere Preise zur Hauptsaison, strengere Auflagen für Tourenanbieter und Obergrenzen für Besucher pro Tag schaden am allerwenigsten der MICE- und Eventbranche, aber dürften das individuelle Reiseerlebnis auf lange Sicht verbessern. Das alles vor dem Hintergrund, dass die lokale Bevölkerung keine unzumutbare Beeinflussung ihres Lebensalltags befürchten muss.

Am Ende muss lokal gehandelt werden

Die negativen Auswirkungen des Massentourismus sind ein gleichermaßen globales wie lokales Problem. Unterschieden werden muss aber sicherlich zwischen dem ökologischen und dem sozialen Fußabdruck, den die Touristenflut in manchen Regionen hinterlässt. So ist der Schutz der Meerechsen auf Galapagos sicherlich nicht gleichzusetzen mit der Schaffung bezahlbaren Wohnraums in Barcelona.

Die Stellschrauben, an denen es zu drehen gilt, bleiben aber dieselben. Internationale Lösungen sind nicht in Sicht. Auf Landesebene kann man immerhin über eine Entzerrung und Umverteilung der Touristenströme nachdenken. Nur vor Ort – da sind sich alle Tourismusexperten einig – können schnell fruchtende Maßnahmen ergriffen werden, damit Gäste sich wieder wohl und Einheimische nicht länger ausgegrenzt fühlen. Damit aus Überlastung für Mensch und Natur wieder ein Gleichgewicht entsteht, mit dem alle gut leben können.


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Autor: Frank Brehm

Veröffentlicht am: 25.01.2018


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