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Themensammlung - Change-Kommunikation, Employer Branding

Eine andere Form der Zusammenarbeit (Teil 1)

Ein Gespräch mit Uwe Raschke über neue Organisationsmodelle

Es sind nicht mehr nur ein paar kleine Unternehmen, in denen neue Formen der Organisation erprobt werden. Der organisationale Wandel ist in den großen Unternehmen angekommen. Zum Beispiel bei Bosch Power Tools, weltweit agierender Anbieter von Elektrowerkzeugen, Messtechnik und Gartengeräten. Die funktional gegliederte Großorganisation wurde in zehn kleinere Einheiten zerlegt. Und es startete ein Experiment mit einer neuen Form der Organisation: weniger Hierarchie, crossfunktionale Teams, ein neues Verständnis von Motivation, Design Thinking, eine neue Arbeitsumgebung. Das Ziel: eine neue Form der Zusammenarbeit. Die innovative Ideen sprudeln lässt. Und den Nutzer in den Mittelpunkt der Entwicklungsarbeit rückt.

„Für uns war früher die Anzahl der Auspuffrohre unserer Dienstwagen wichtig. Ziel war es, ein möglichst großes Büro zu bekommen, und wir haben Informationen erst einmal für uns behalten, weil sie Macht bedeutet haben." Natürlich ist das stark zugespitzt und nicht für alle zutreffend, sagt Uwe Raschke, Geschäftsführer der Robert Bosch GmbH, aber es hat einen Kern an Wahrheit. Heute aber geht es um etwas anderes: um eine andere Form der Zusammenarbeit. Und die erfordert eine neue Form der Unternehmensorganisation.

Uwe Raschke ist seit Juli 2008 Geschäftsführer der Robert Bosch GmbH. In dieser Funktion verantwortet er den Unternehmensbereich Consumer Goods mit den Geschäftsbereichen Power Tools und der BSH Hausgeräte GmbH. In unserem Interview berichtet er über die Transformation des Geschäftsbereichs Power Tools mit circa 20.000 Mitarbeitern, den Komplettumbau einer Geschäftseinheit mit circa 2000 Beschäftigten eingeschlossen.

Herr Raschke, wenn Sie zurückschauen auf die Transformation bei Bosch Power Tools - was hat diesen Veränderungsprozess in Gang gebracht?

Uwe Raschke: Veränderungen im Umfeld. Erstens hat die Digitalisierung das Verhalten unserer Kunden verändert. Es ist eine neue Transparenz entstanden, die dazu geführt hat, dass wir unsere Marketingstrategien überdenken mussten. Zweitens stellt uns die demografische Entwicklung in Europa vor die Herausforderung, dass unsere Kunden älter und weniger werden; damit verliert ein natürlicher Wachstumsfaktor an Wirkung. Nicht zuletzt macht uns ein ganz profaner volkswirtschaftlicher Zusammenhang zu schaffen: Die starke Aufwertung des US-Dollars, denn wir beziehen sehr viele Materialien, insbesondere Elektronik, im Dollar-Raum. Wir mussten überlegen, wie wir mit diesen drei zentralen Veränderungen mittel- und langfristig umgehen.

Dieser Wandel hat Ihre langfristige strategische Planung konterkariert? In welchen Planungszeiträumen bewegte sich diese Planung?

Uwe Raschke: Die Planungszeiträume liegen im Konsumgütergeschäft traditionell zwischen drei Jahren in der Mittelfristplanung und fünf bis zehn Jahren in der Langfristplanung.

Stellen Veränderungen wie diese Planung infrage?

Uwe Raschke: Eine gewisse Planung ist sicherlich nach wie vor notwendig. Weil sich heute die Dinge aber sehr schnell verändern, ist es noch wichtiger, sich schnell an Veränderungen anpassen zu können. Denn oftmals sind Pläne nach kurzer Zeit schon wieder obsolet und man muss sehen, wie man mit dieser neuen Situation umgeht.

Sie haben von Digitalisierung gesprochen und von den Veränderungen im Markt, die dadurch ausgelöst worden sind. Wie ist dies für Sie spürbar geworden?

Uwe Raschke: Am gravierendsten ist sicherlich die Veränderung der Vertriebskanäle. Vor zehn Jahren hat Amazon für uns keine Rolle gespielt, heute ist die Plattform einer unserer größten europäischen Kunden. Amazon aber hat eine ganz andere Wertschöpfungskette und erfordert eine ganz andere Bearbeitung. Dies bedeutet, dass wir unsere traditionell erlernten Fähigkeiten im Vertrieb und Marketing anpassen müssen. Zweitens hat der Konsument heute eine sehr viel höhere Transparenz über das Angebot. An sich ist das eine sehr positive Entwicklung, ein Vorzug des Internets. Aber es verlangt von uns, noch besser zu sein als in der Vergangenheit.

Wie zeigt sich diese digitale Transparenz?

Uwe Raschke: Früher wurde jedes Problem mit einem Produkt oder einem Service nur den Menschen bewusst, die dieses Produkt oder diesen Service in Anspruch genommen haben. Im schlimmsten Fall haben wir diese Kunden verloren. Ist heute ein Kunde mit einem Produkt oder einer Leistung unzufrieden, dann wissen das unter Umständen über Nacht viele Tausend Menschen. Das ist eine Herausforderung, mit der wir umgehen müssen. Es ist daher umso mehr unser Anspruch, jedes einzelne Produkt, jede einzelne Dienstleistung, die wir anbieten, wirklich jeden Tag exzellent zu machen.

Wie hat sich das konkret gezeigt? Sie haben ja zwei Produktlinien, die grüne Produktlinie für den Heimwerker …

Uwe Raschke: … und die blauen Elektrowerkzeuge für den Handwerker …

Diese beiden Gruppen ließen sich früher klar separieren?

Uwe Raschke: Ja, das ließ sich klar separieren. Unsere Marktforschung hatte gezeigt, dass der Handwerker die blauen Produkte benutzt; die grünen Elektrowerkzeuge kannte er zwar auch, war aber der Meinung, dass sie seinen Ansprüchen nicht genügen. Zudem hat der Handwerker früher fast ausschließlich im Fachhandel eingekauft. Der Heimwerker hingegen - das hat unsere Marktforschung ebenso ergeben - kannte die blauen Geräte von Bosch gar nicht. Für ihn war Bosch grün, und er kaufte zum allergrößten Teil seine Werkzeuge im Baumarkt.

Inwiefern hat sich das verändert?

Uwe Raschke: Durch die Digitalisierung standen plötzlich blaue und grüne Produkte im Netz nebeneinander. Rein äußerlich konnte man oft nicht auf den ersten Blick erkennen, für welchen Einsatzzweck welches Produkt am besten geeignet ist und welche Unterschiede zwischen ihnen bestehen. Zudem schwankt die Preisgestaltung der Händler im Internet sehr stark. So kann es schon passieren, dass ein gewerbliches, also ein blaues Produkt, im Internet preisgünstiger angeboten wird als ein grünes Heimwerkerprodukt. Für den Konsumenten ist das schwer zu verstehen.

Das sind Fragen, mit denen wir uns beschäftigen mussten. Auch wenn wir keinen Einfluss auf die Preisgestaltung unserer Kunden im Handel haben, konnten wir zumindest unser Produktangebot und unsere Marketingstrategien anpassen. Daher bieten wir nun beispielsweise auch gewerbliche Produkte in Baumärkten an. Erstens, weil der Heimwerker, der erkannt hat, dass es auch gewerbliche Elektrowerkzeuge von Bosch in Blau gibt, ein hohes Interesse hat, diese zu kaufen. Und zweitens, weil wir sehen, dass auch Handwerker mehr und mehr in Baumärkte gehen. Das hat weniger mit der Digitalisierung zu tun, sondern mit Convenience, dem Bedarf an Produkten, die man ganz schnell braucht. Und da wir nun beide Sortimente im Baumarkt haben, müssen wir unseren Kunden ganz deutlich machen, wofür die einzelnen Sortimente stehen und was das Leistungsversprechen hinter den jeweiligen Produkten ist.

Das betrifft die Strategie. Was hat Sie bewogen, die Organisation zu verändern?

Uwe Raschke: Für uns kam eine weitere Herausforderung hinzu: Wir wollen noch innovativer sein und noch mehr innovative Ideen auf den Markt bringen, um den veränderten Marktbedingungen gerecht zu werden. Ich sagte vorhin, die Demografie macht unsere Grundgesamtheit kleiner. Das heißt: Wenn wir wachsen wollen, brauchen wir noch mehr Ideen als in der Vergangenheit. Aus diesem Grund haben wir überlegt: Wie müssen wir zusammenarbeiten, um eine Organisation zu schaffen, die - ganz auf den Verwender konzentriert - schnell innovative Ideen hervorbringt?

Allgemeiner formuliert: Traditionell sind wir sehr auf Synergien aus. Die Kunst wird morgen darin bestehen, zu unterscheiden, in welchen Feldern des unternehmerischen Tuns wir sehr stark auf Synergien setzen und mit hoher Effizienz arbeiten müssen und in welchen Feldern wir Synergien aufgeben müssen, um besser, innovativer und schneller zu werden.

Wie sieht eine solche Organisation aus? Und wie waren Sie bislang organisiert?

Uwe Raschke: Bis 2003 waren wir in diesem Geschäftsbereich weltweit funktional organisiert: Das Unternehmen war untergliedert in Fertigung, Entwicklung, Verkauf, Controlling, Marketing. Diese Bereiche haben an den jeweiligen Bereichsvorstand berichtet. Im Jahre 2003 haben wir dann aus diesem nach Funktionen organisierten Gesamtgeschäft zehn Geschäftseinheiten gebildet, haben also eine erste Fragmentierung durchgeführt. Diese Geschäftseinheiten waren Markt-Kunden-Kombinationen, zum Beispiel die Einheit, von der wir gerade gesprochen haben: "Heimwerker in Europa". "Handwerker in Europa" war eine andere.

Jetzt haben wir einen nächsten Schritt der Fragmentierung vorgenommen: Aus dieser Kunden-Markt-Einheit "Heimwerker in Europa" haben wir zehn kleinere Geschäfte gemacht, die sich mit den unterschiedlichen Anwendungen beschäftigen und noch stärker den Verwender in den Mittelpunkt ihres Tuns stellen. Wenn Sie so wollen, haben wir aus einem 800-Millionen-Euro-Geschäft zehn 80-Millionen-Euro-Geschäfte gemacht. Das war der eine Schritt.

Der zweite Schritt war, dass wir diese Geschäfte durch crossfunktionale Teams leiten lassen. Das heißt, es sitzen nicht mehr die Ingenieure in einer Ingenieurabteilung, die Marketingmitarbeiter in einer Marketingabteilung und die Controller in einer Controllingabteilung, sondern wir haben ganz bewusst gemischte Teams geschaffen.

Weswegen?

Uwe Raschke: Weil wir basierend auf der Idee des Design Thinking glauben, dass gemischte Teams sehr viel innovativere Lösungen erarbeiten können und sehr viel schneller in der Exekution von Ideen zusammenwirken. Die teilweise Auflösung der funktionalen Organisation ist ein großer Schritt.

Aber es war uns auch wichtig, die funktionale Exzellenz zu stärken. Aus diesem Grund gibt es funktionale Exzellenzcluster, die sich nicht mit dem täglichen Umsatz und Absatz beschäftigen. Sie sorgen stattdessen vor allem dafür, dass das Wissen von außerhalb des jeweiligen Exzellenzclusters schnell genug in den eigenen Bereich fließt und dort verteilt wird. In der Vergangenheit basierte funktionale Exzellenz auf der Kombination einer guten Ausbildung und soliden Berufserfahrung, die einen Mitarbeiter sein Berufsleben lang begleitet hat. Heute aber verändert sich das Wissen außerhalb des Unternehmens und im Unternehmen so schnell, dass andere Wege erforderlich sind, um funktionale Exzellenz zu gewährleisten.

Um zusammenzufassen: Sie haben die ursprüngliche funktionale Organisation zunächst stärker am Markt ausgerichtet und haben jetzt den Kundennutzen nochmals stärker in den Mittelpunkt gestellt. Und Design Thinking ist eine Methode, die genau da ansetzt: zu erfahren, was der Kunde eigentlich will, was das Bedürfnis ist, das ihn antreibt, oder das Problem, das er lösen will. Daher der hohe Stellenwert von Design Thinking?

Uwe Raschke: Ja, genau.

Diese funktionalen Einheiten waren streng hierarchisch strukturiert. Sie haben sogar einmal gesagt: "überhierarchisiert".

Uwe Raschke: In großen arbeitsteiligen Organisationen gibt es zahlreiche Hierarchieebenen. Mit "überhierarchisiert" meinte ich: Wir müssen darüber nachdenken, die Anzahl von Hierarchieebenen zu verringern. Das geht natürlich nicht einfach, indem wir Hierarchieebenen rausnehmen, und das war’s dann. Dies erfordert ein neues, anderes Verständnis von Führung und Kommunikation.

In der Summe konnten wir mit der neuen Organisation im Bereich Power Tools aber ein bis zwei Hierarchieebenen aus der Organisation herausnehmen. Das halten wir für einen Vorteil im Vergleich zum vorhergehenden Organisationsmodell.

Wie viele Hierarchieebenen waren es vorher?

Uwe Raschke: Wir hatten bislang fünf Hierarchieebenen in dieser Business Unit, in der neuen Organisation haben wir drei: die Leitung der Business Unit, eine mittlere Ebene und dann die Mitarbeiter.

Und in der Organisation insgesamt? Vielleicht als Vergleichszahl: In den 1960er-Jahren, als die Großorganisation noch das Organisationsmodell war, an dem sich alle orientierten, lag das Maximum an Hierarchieebenen bei 15.

Uwe Raschke: Ganz so ist es nicht. Wir haben in den allermeisten Bereichen maximal sechs bis sieben Hierarchieebenen. Im Bereich Power Tools waren es fünf in der Business Unit plus der Bereichsvorstand und die Bosch-Geschäftsführung, das sind dann sieben. Darüber hinaus geht es im Unternehmen in der Regel nicht.

Das war Teil 1 des Gesprächs mit Uwe Raschke über neue Organisationsmodelle. Lesen Sie am 28. September in Teil 2 des Interviews mehr über *die Transformation des Geschäftsbereiches Home and Garden *.


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Bildquelle: Robert Bosch GmbH

Autor: Winfried Kretschmer (Gastautor)

Veröffentlicht am: 21.09.2017


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MICE Club Admin
MICE Club Admin
10. November, 10:43 Uhr

Danke für den Hinweis - ist korrigiert :-).

Viele Grüße Ihr MICE Club-Team

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Heiko Haller,
Consileon
08. November, 19:56 Uhr

Im Link zu changex fehlt ein Doppelpunkt.

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