Die Frau, das „berührbare“ Wesen
Trauriger Alltag oder bedauerliche Ausnahme? Sexismus in der MICE-Branche!
Unfassbar und schockierend waren sie, die Ereignisse rund um den Kölner Hauptbahnhof in der Silvesternacht 2015/2016. Als Mob rotteten sich hunderte junge Männer zusammen, um Frauen gezielt zu belästigen, zu begrabschen, zu bestehlen und zu demütigen. Man kann sich an dieser Stelle nur wünschen, dass die Polizei möglichst viele der Täter identifizieren und dingfest machen wird.
Ein klarer Fall von unverhohlenem Sexismus. Nun ist körperliche und verbale Gewalt gegen Frauen beileibe keine rein muslimische Erscheinung, wie jüngst bei der vermuteten Tätergruppe. Häufig in subtilerer und weniger „öffentlichkeitswirksamerer“ Form durchdringt sie unsere Gesellschaft und vor allem die Arbeitswelt seit jeher. Deutschlandweit werden Jahr für Jahr rund 8.000 Anzeigen wegen sexueller Nötigung und Vergewaltigung registriert. Dabei kann sicherlich nicht überwiegend von nordafrikanisch oder arabisch aussehenden Tätern gesprochen werden. Sexismus hat auch im westlichen Kulturkreis immer noch Hochkonjunktur, was nicht zuletzt am unausgesprochenen kapitalistischen Motto „Sex sells“ festgemacht werden kann.
Eine Branche und ihr Ruf
Die MICE- und Eventbranche ist sicher unstreitig eine derjenigen, in der sexuelle Anzüglichkeiten und Übergriffe besonders häufig zu beobachten sind. Die Gründe sind vielfältig: Einerseits geht es ums Verkaufen und ums Sehen und Gesehen werden. Viele Branchen sind bis heute reine Männerdomänen, etwa die Automotive-, Computer- oder Finanzbranche.
Nicht zuletzt aber finden sich die meisten Messebesucher und Kongressteilnehmer fernab des Familien- und Berufsalltags wieder. Man(n) wird hofiert und umgarnt, es fließt reichlich Alkohol und der Anreiz, mal über die Strenge zu schlagen, ist, wie etwa auch an Karneval oder beim Oktoberfest, hoch.
Derartige Reize bietet natürlich auch eine ganze Schar ansehnlicher Hostessen, die zum Mindestlohn in kurze Rücke und hohe Schuhe gesteckt werden und dazu angehalten sind, den „Herren der Schöpfung“ einen möglichst angenehmen und oft missverstandenen Service zu bieten. Nur allzu gerne wird diese von oben verordnete Anbiederung mit einem anzüglichen Spruch, einem schlüpfrigen Witz oder einem Klaps auf den Po bedacht.
Und seien wir ehrlich: Da muss schon viel Wasser den Eventbach hinunterfließen, ehe die kleine Pummelige mal aushelfen oder die 50-jährige Hausfrau sich etwas hinzuverdienen darf – es sei denn als Klofrau oder Küchenhilfe. Wer sagt aber eigentlich, dass Aussehen vor Qualifikation geht, und dass die Masse der männlichen Kunden und Gäste den Modeltyp bevorzugt? Vielleicht wäre hier mal eine Marktforschung vonnöten, die den Projektverantwortlichen verdeutlicht, dass es auch anders gehen kann. Denn: Man(n) nimmt ja nur an, dass das tiefe Dekolletée und die Wespentaille in jedem Fall erwünscht sind.
Mit schlechtem Beispiel vorangehen
Manche Skandale werden bekannt, die meisten freilich nicht. Die Ergo-Tochter Hamburg-Mannheimer hatte im Juni 2007 ihre freien Mitarbeiter mit der höchsten Erfolgsquote zur Belohnung für gute Geschäfte in die historische Gellert-Therme in Budapest eingeladen. Mit von der Partie: rund 60 bis 70 „Damen für den Abend“, davon 20 Prostituierte und 40 bis 50 Hostessen – steuerlich absetzbar und stets verfügbar. Von einem bedauerlichen Einzelfall war nach Bekanntwerden die Rede. Wer’s glaubt, wird selig.
Der Deckmantel des Schweigens ist noch immer der beste Schutz für die sexistischen Entgleisungen im Rahmen von Firmenfeiern und Kundenevents rund um den Globus.
Die gebotenen Reize sind ja auch unübersehbar, wie etwa auf der Gamescom, der größten Videospielmesse der Welt. Leicht bekleidet und großbusig präsentieren sich den vorwiegend männlichen Gamern Lara Croft und Co. nicht nur im virtuellen Raum, sondern auch als reale Abbilder feuchter Männerfantasien – nicht selten mit entsprechenden Konsequenzen.
„Raus aus der Opferrolle“ fordert die Münchener Stadtdirektorin Angelika Beyerle die Opfer auf, die nur allzu oft zu Schuldigen gemacht werden. Viele Jahre lang war es Usus, doch erst 2013 wurde das permanente Sexmobbing auf der Messe München berechtigterweise zum Skandal ausgeweitet, weil einige der betroffenen Frauen endlich ihr Schweigen gebrochen und die sozialen Medien Wind davon bekommen haben.
Jede zweite „öffentlichkeitswirksame“ Mitarbeiterin der Messe München soll schon einmal Opfer oder Zeugin von Sexismus und sexueller Gewalt gewesen sein, heißt es. Zu insgesamt 50 Anzeigen ist es nach den ersten Outings vor zwei Jahren gekommen. Zehn Jahre zuvor waren es noch ganze drei. Ein Topmanager musste schließlich gehen, erhielt aber eine hohe Abfindung. Der Messechef übte sich derweil in Stillschweigen.
Ändern sich die Zeiten endlich?
Natürlich: Mit gesetzlich verordneten Quotenregelungen, einer Kanzlerin an der Spitze der Bundesrepublik, diversen Gleichstellungsgesetzen und einer, wenn auch langsamen Angleichung des Lohnniveaus mag sich einiges verändert, wenn nicht verbessert haben. Auch die Bereitschaft der Frauen, gegen sexuell übergriffige Vorgesetzte, Kollegen und Kunden vorzugehen, hat sicherlich zugenommen.
Compliance-Abteilungen mit Lippenbekenntnissen
Die vielerorts geschaffenen Compliance-Abteilungen in Konzernen und Großunternehmen sollen nun durch umfangreiche Regelwerke solche Auswüchse im Keim ersticken. Doch wen schützen bzw. wem dienen die neuen Regularien? – Geht es doch in der Regel vielmehr darum, das eigene Unternehmen vor Image- und Reputationsverlust zu bewahren als Opfer zu schützen und mit größtmöglicher Transparenz Fehlverhalten aufzudecken oder gar Täter zu benennen und zu verurteilen.
Denn Fakt ist, dass das klassisch-devote Rollenbild der Frau, wie man es seit Jahrzehnten bereits überwunden glaubte, noch fest in den Köpfen vieler Männer verankert ist. Und auf Messen und Events, auf denen sich leicht bekleidete Frauen auf Motorhauben räkeln oder für den persönlichen Zimmerservice zuständig sind, macht Gelegenheit leider Diebe bzw. Nötiger.
Das Phänomen des Sexismus ist somit keineswegs ein alleiniges Problem fremder oder vermeintlich rückständiger Kulturkreise. Es ist auch hierzulande noch so oft zu beobachten, dass man für die Begriffsdefinition gleich mehrere Kategorien geschaffen hat. Auf die Event- und MICE-Branche trifft wohl am ehesten der benevolente, d.h. der „wohlmeinende“ Sexismus zu. Hierin vereinen sich charmantes Verhalten und zweideutige Ansagen, galantes Auftreten und eindeutige Angebote – frei nach dem Motto: „Ich tue alles für dich, aber wenn du mir nicht entgegenkommst, muss ich leider bestimmte Maßnahmen ergreifen!“
Der benevolente Sexismus bedient sich somit im Grunde genommen eines erpresserischen Verhaltens. Denn Frauen wird, wenn auch durch die Blume, überaus deutlich gemacht, dass es ganz schnell vorbei sein könnte mit dem Servicejob, dem Kundenauftrag, den Aufstiegschancen oder der Weiterempfehlung.
Bloß nichts an die große Glocke hängen
„Große Glocken“ können schnell missverstanden oder besser: missinterpretiert werden. Das einvernehmliche Stillschweigen in patriarchalischen Kreisen wirkt bis heute wie eine nie getroffene, aber dennoch verbindliche Absprache. Denn im Zweifelsfall heißt es Aussage gegen Aussage, und wer dabei am längeren Hebel sitzt, scheint offensichtlich. Es sei denn, es melden sich wie im Fall des US-Entertainers Bill Cosby gleich mehrere Missbrauchsofer zu Wort, deren Glaubwürdigkeit irgendwann kaum noch angezweifelt werden kann, selbst wenn Jahrzehnte seit den Vorfällen vergangen sind.
An dieser Stelle mal etwas Persönliches: Ich selbst war schon einmal dabei, als die Bewerbungen in einer Eventagentur für eine Volontariatsstelle nach dem Aussehen der weiblichen Bewerber und nicht nach Qualifikation sortiert worden sind. So sind es gerade die emsigen Projektleiterinnen an der operativen Front, die sich den sexistischen Angriffen von Kunden und Eventteilnehmern erwehren müssen. Die meisten Agenturen stellen sich schützend auf die Seite ihrer Mitarbeiterinnen. Doch wenn es hart auf hart kommt, möchte ich die Agentur sehen, die ihren "besten Kunden" wegen sexueller Übergriffe gerichtlich zur Rechenschaft zieht.
Wenn Zahlen Bände sprechen
Kommen wir am Ende doch noch einmal zurück zum globalen Geschehen, zu den kulturellen Unterschieden zwischen West und Ost, Nord und Süd. Diese sind natürlich gerade bei interkulturellen Konferenzen und Tagungen spürbar. Wenn der Araber, Inder, Japaner oder Brasilianer mit am Tisch sitzt, sollte sich das weibliche Servicepersonal natürlich am allerwenigsten „daneben benehmen“. Den Wünschen der ausländischen Kunden und Repräsentanten ist schließlich Folge zu leisten. Wobei: Kennt man diese tatsächlich so genau oder tut man von Veranstalterseite nicht einfach nur alles, um dem Gegenüber zu gefallen?
„Sieh her“, mag es heißen, „Deutschland ist weltoffen und freizügig und natürlich hat man sexy Personal am Start, das ausländischen Gästen alle Wünsche von den Lippen abliest.“ Wo Maximen wie diese zum Geschäftsalltag gehören, wird die Hemmschwelle für sexuelle Anzüglichkeiten und Übergriffe bewusst niedrig gehalten. Dessen sollten sich sowohl Eventplaner als auch -veranstalter bewusst sein.
Zum Schluss dieses Artikels daher noch ein paar Umfrageergebnisse, die genauso wachrütteln sollten wie die „Großereignisse“ in der Kölner Silvesternacht. Eine europaweite Studie der Agentur der EU für Grundrechte (FRA) über Gewalt gegen Frauen förderte im Jahr 2013 Folgendes zutage:
- 55 % der Frauen haben irgendeine Form der sexuellen Belästigung erlebt. Ein Drittel davon nannte Vorgesetzte, Kollegen und Kunden als Täter.
- 33 % der Frauen haben seit ihrem 15. Lebensjahr körperliche und/oder sexuelle Gewalt erfahren.
- 18 % der Frauen haben seit ihrem 15. Lebensjahr Stalking erlebt, teilweise über mehrere Jahre hinweg.
- 67 % der Frauen meldeten aus Angst selbst schwere Gewaltvorfälle nicht der Polizei oder einer anderen Organisation.
Das könnte Sie auch interessieren:
Bildquelle: Vector Graphics