Die Antwort: "Nein, es gibt kein Entkommen"
Ein leidenschaftlicher Leserbrief zu den Höhen und Tiefen der Eventbranche
Unser Artikel "Gibt es ein Entkommen aus der Eventbranche? – Wie lautet Ihre persönliche Exit-Strategie?" hat hohe Wellen geschlagen. Neben zahlreichen Anrufen und Kommentaren erreichte uns auch die nachfolgende Zuschrift einer Leserin, die sich in einem leidenschaftlichen Rückblick auf ihre Karriere in der MICE-Branche ihre Seele vom Leib geschrieben hat.
Gabi Schares, geboren 1961 in Frankfurt am Main, Reiseverkehrskauffrau und IATA-Fachkraft, begann ihre Laufbahn bei einem Veranstalter für Gruppenreisen, wechselte in das Reisebüro eines Finanzkonzerns als Mitarbeiterin und wurde später Leiterin der Incentiveabteilung. Bei Creative Tours & Concept war sie für die Planung und Ausführung aufwändiger Events und Konferenzen zuständig. In 2008 folgte die Zusatzqualifikation im Bereich Umweltökonomie und Umweltmanagement. Seit 2009 ist Gabi Schares mit EVENT Impuls freiberuflich selbstständig und berät und unterstützt Agenturen, Organisationen und Verbände bei der Konzeption und Durchführung von Events.
Lesen Sie nachfolgend ihre Antwort auf unseren Artikel:
Für mich ist die Antwort ein klares Nein! Nein, es gibt kein Entkommen aus der Eventbranche, zumindest dann nicht, wenn man seine Erfolge feiern durfte und seiner kreativen Ader immer wieder freien Lauf lassen muss, um sich lebendig zu fühlen. Ich habe nach dem Abitur ein Pharmaziestudium angestrebt, der NC hat mich nicht abgeschreckt, ich habe im Bereich Reiseleitung und Animation während der Wartezeit gutes Geld verdient und auch im Studium „konnte ich es nicht lassen“. Fazit war ein schleppender Fortgang, was mich irgendwann zur Aufgabe des Studiums brachte und als Quereinsteiger, noch ohne Ausbildung, in die Reservierung eines Gruppenreiseveranstalters.
Als Babyboomer war klar, Abi alleine ist keine Ausbildung. In der Schule für Touristik in Frankfurt am Main verbrachte ich Abende und Samstage mit der Ausbildung zur IATA-Fachkraft und Reiseverkehrskauffrau (IHK) parallel zur Vollzeittätigkeit beim Veranstalter. Praktisch wurde es immer spannender, „learning by doing“ war immer mein Steckenpferd. Kontingentverwaltung, Kontingenteinkauf und dann die Sondergruppen, mit individuellem Programm. Nur noch die Flug- und Hotelkontingente waren Konfektion, ich zuständig für die Haute Couture. Noch vor der IHK-Prüfung zur Kauffrau wechselte ich zu einem großen Finanzdienstleister mit Sitz in Frankfurt und der Aufgabe die Incentives für die eigenen Vertriebler und Partnergesellschaften zu planen und zu organisieren.
Das war meine Welt, Luxus pur beim Ambiente, die verrücktesten Ideen, den Berg per Heli rauf und Hochsommerpicknick am Gletscher, mit Snowmobilen wieder hinunter. Game drive per Heißluftballon über dem Masai Mara in Kenia, eine gemietete Kasbah zur Welt aus 1001Nacht in Marokko umgestalten, meiner Fantasie waren keine Grenzen gesetzt, das Budget setzte nur eine poröse Linie. Damals hatte man noch ein Budget und wenn das Highlight eben teuer war, musste an anderer Stelle eingespart werden, auch eine Kreativleistung. Und ich war immer dabei, in den luxuriösesten Herbergen, den besten Serviceklassen der Airlines oder upgegraded und dazu bei Aktivitäten, die ich niemals aus meinem persönlichen Geldbeutel hätte bezahlen können.
Damals habe ich noch alles mit DMCs geplant und eingekauft. Klar, denn die Qualität musste stimmen. Dann kam der erste Wechsel, tatsächlich aus Langeweile, denn Luxus kann öde werden. Raus aus der Komfortzone mit finanzbranchenüblichen 14 Monatsgehältern, rein in die Miniagentur mit weniger finanzstarken Kunden, aber hohem Anspruch. Mit Geld konnten alle, aber ich konnte auch kleine Teamevents über ein langes Wochenende zum absoluten Highlight machen.
Die Pforte zur nächsten Agentur durchschritt ich mit der Warnung: „Och, die machen ja fast nur Deutschland.“ Jep, und es ging ans Eingemachte, alles wurde selbst recherchiert und eingekauft, Qualität auf Herz und Nieren geprüft und wenn ich einen Bock geschossen hatte, musste ich es ausbaden. So kam es zu einer Ehrung auf dem Eis der Frankfurter Eissporthalle, nur weil mir bei einer Site Inspection mit dem Kunden ein „Holiday-on-Ice"-Plakat ins Auge sprang und ich daherredete, dass wir doch die Firmenbesten zur Ehrung auf’s Eis schicken könnten. Ab da, rund um das Millenium, wurden bei Galas große Emotionen geweckt und befriedigt - Inszenierung hieß das Zauberwort und ich liebe es zu zaubern. Ich habe nicht nur „Reiseleistungen", wie erlesene Perlen auf eine Kette aufgereiht verkauft, sondern Gefühle und echte Erlebnisse, all das, was wir vielleicht doch mal mitnehmen können, auch wenn das letzte Hemd keine Taschen mehr hat.
Dann kam er doch noch, der Mann fürs Leben. Er hatte schon zwei Kinder im Grundschulalter und ich wollte noch ein gemeinsames Kind. Und wie das bei guten Planern so läuft: das Kind kam und ich war raus aus dem Business. Mütter taugen nicht für 24/7, so das klare Vorurteil unserer deutschen Wirtschaft und mangels gutem und vor allem flexiblem Betreuungsangebot leider nicht ganz zu negieren.
So bin ich erst einmal 3 Jahre in Erziehungszeit, dann zurück mit 32 Stunden, später noch mal Teilzeit probiert, aber die Modelle taugten trotz aller modernen Errungenschaften wie Handy, E-Mail und Wlan-while-walking einfach nichts. Es war nicht die Einsatzbereitschaft, an der ich gescheitert bin, es war der Kontrollbedarf seitens der Arbeitgeber, die ohne Zeitkonto einfach keine Größe fanden, mit der ich und meine Arbeit zu bewerten, geschweige denn zu dotieren sei.
Das war der Moment, wo ich dachte, mich für Familie und Privatleben oder Eventbusiness entscheiden zu müssen. Ich brannte zwar für den Job, aber nie von beiden Seiten, das verbot ein gesunder Selbsterhaltungstrieb. Ich stieg erst einmal für mehrere Monate aus und überprüfte mein persönliches Wertesystem. Was ist mir wichtig: Familie? Ja! Ein zufriedenstellendes, wenn auch nicht unbedingt regelmäßiges Einkommen? Ja! Luxus und Statussymbole? Nein! Eine Unternehmenskarriere? Nein! Eine erfüllte und erfüllende Berufstätigkeit? Ja!!!
Also bin ich wieder rein ins Event-Business, diesmal selbstständig. Doch kein DAX-Unternehmen vergibt Budgets an eine „One-Woman-Show“, also suchte ich meine Kunden jenseits davon. Mittelstand, Verbände und Organisationen, Hochschulen und Bildungseinrichtungen, die selten eine Idee haben, was alles geht, aber oft schon nach einem Erstgespräch Visionen entwickeln, die ich ihnen helfe zu verwirklichen. Wertvolle Zusammenarbeit und eine echte Dankbarkeit erfahre ich immer wieder und verstehe sie in diesem Fall auch als Teil meiner Vergütung.
Events als fester Bestandteil von Unternehmenskultur und Beziehungsmanagement sind mein Ziel, Impulse setzen und schauen, was sich entwickelt. Eine geklaute Idee schmeichelt mir, auch wenn nur ich weiß, wie gut eine professionelle Umsetzung der Sache getan hätte. Wenn ich Lust auf ganz große Events, Budgets und Visionen habe, dann findet sich immer wieder ein Projekt einer großen Agentur oder eines Konzern, in das ich in jeder Schaffensphase hineinschlüpfen kann und damit personelle und professionelle Engpässe überbrücken helfe. Meist kommen diese Aufträge über Empfehlung. Doch sonst bin ich frei, für meine Werte, Ziele, Inspirationen und Impulse für Live-Communication, an der ich noch lange Anteil haben möchte.
Vor ein paar Wochen erreichte mich die Anfrage eines Headhunters, ein Pharmariese sucht für seine 350-Jahr-Feier einen verantwortlichen Eventmanager. Schon die Zeitlimits der Bewerbungsphase waren - nun ja - sportlich. Application komplett auf Englisch, aktuelles Foto, alle Unterlagen parat - hat nicht jeder Selbstständige in der Schublade - Abgabe 3 Stunden nach Erstkontakt. Auf Befindlichkeiten anderer, „Stichwort confidentiality“ wurde keine Rücksicht genommen, lückenloser Nachweis von Projekten - Wer? Was? Wo? Paxzahl/Struktur? Inhalte? - nachgefordert. Auch binnen weniger Stunden... Für mich stand dann sehr schnell fest, in dieses System mit unnötigem Druck von allen Seiten will ich nicht zurück!
Also weiter wie bisher, da waren auch durchaus abseits der gewerblichen Arbeit Event-Highlights, sowas ist angestellt unmöglich. Zum Bespiel zwei Jahre Elternbeiratsvorsitz, die in einen Elternvortrag mit Referentin Jutta Wimmer und 330 zahlenden Gästen uferte. Der Herr Schulleiter war „verschnupft“, kein langweiliger Fachvortrag, sondern ein Toptalent in Sachen Infotainment auf der großen Bühne der Mehrzweckhalle, die Schule wurde zu klein. Auf der „Veranstalterseite" 30 Eltern, engagierte SEB- und Fördervereinsmitglieder, lauter Amateure, deren Leidenschaft ich wecken konnte, so was hatte die Schule noch nicht erlebt.
Eine Fachzeitschrift kann ich auch auf der Bank im Garten lesen, erreichbar bin ich auch, während ich mit meinem Sohn die deutschen Mittelgebirge pauke und wer Beruf und Familie erfolgreich unter einen Hut bringt, der hat keine Angst vor Managementaufgaben und Verantwortung. Mit 90, organisiere ich meine Goldhochzeit als Event-Highlight des Jahres 2051 ;-)
There are still some ways to LOVE THIS JOB!
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Bildquelle: Gabi Schares (privat)