Am Wendepunkt der Arbeit
Wie die Digitalisierung die arbeitende Gesellschaft verändert
Die Zeit lässt sich bekanntlich nicht zurückdrehen und der Fortschritt nicht aufhalten. Darüber braucht man eigentlich nicht zu diskutieren. Auch nicht darüber, dass die Digitalisierung heutzutage die entscheidende Triebfeder dieses Fortschritts ist – mit Folgen, die man sich anhand des Status Quo in Sachen Forschung und Entwicklung leicht ausmalen kann. Folgen, die der Kölner Unternehmensberater und Zukunftsforscher Karl-Heinz Land wie folgt beschreibt: „Wenn wir davon ausgehen, dass alles, was digitalisiert und vernetzt werden kann, auch automatisiert wird, wird es die Hälfte der Arbeit, wie wir sie heute kennen, bereits in 15 bis 20 Jahren nicht mehr geben.“
Szenarien wie diese verbreiten naturgemäß Angst in vielen Führungseliten der westlichen Welt. Denn schließlich geht es um Arbeitsplätze und damit um den Wohlstand eines jeden Landes. Weder Angela Merkel noch Martin Schulz jedoch beschäftigen sich in ihren Wahlkampfprogrammen mit der nicht mehr fernen und wohl unausweichlichen Zukunft. Ganz zu schweigen von einem Donald Trump, der eine rückwärtsgewandte und protektionistische Politik betreibt, die bei aller berechtigter Kritik vor allem eines ist: realitätsfern. Und dann sind da ja noch Deutschlands Autobosse, die weiterhin Loblieder auf den Verbrennungsmotor singen, während in den Forschungsabteilungen ihrer eigenen Konzerne fleißig an selbstfahrenden Elektroautos getüftelt wird, damit man den Anschluss an die Zukunft bloß nicht verpasst.
Fakt ist, dass die Digitalisierung hunderttausende von Arbeitsplätzen kosten wird, und das bereits in den kommenden zwei Jahrzehnten. Die Frage ist nun, ob das wirklich so schlimm ist und wie die Gesellschaft damit umgeht. Blicken wir einmal zurück auf die Einführung von Industrierobotern seit Beginn der 1980er-Jahre. Das Geschrei war groß. Der klassische Fabrikarbeiter hatte ausgedient. Und heute? Die Arbeitslosenquote ist so niedrig wie eine gefühlte Ewigkeit nicht mehr und niemand käme mehr auf die Idee, sich der Arbeit zuliebe tagtäglich gesundheitlichen Belastungen und körperlichen Gefahren auszusetzen.
Schwarzmalen gilt nicht
Die Digitalisierung hält natürlich auch im industriellen Bereich Einzug, aber sie wird vor allem den Dienstleistungssektor betreffen und damit auch die MICE- und Eventbranche. Und das nicht nur, weil immer mehr Konferenzen digital abgehalten oder Besichtigungen virtuell durchgeführt werden. Nein, automatisierte Prozesse ersetzen die menschliche Arbeitskraft vor allem in den Bereichen Verkauf, Vertrieb, Buchhaltung, Controlling, Marketing, Marktforschung und Verwaltung. Kassenlose Supermärkte gibt es bereits genauso wie rezeptionsfreie Hotels. Rund zwei Drittel der heute noch 36.000 Bankfilialen in Deutschland werden in zehn Jahren voraussichtlich geschlossen sein. Dasselbe gilt für Reisebüros, Touristeninformationen und alle Arten „physischer“ Vermittlungsagenturen. Kurzum: Es trifft vor allem die Besserverdienenden, während – Ironie des Schicksals 1 – natürlich weiterhin gekocht, geputzt, gebaut, möbliert und repariert werden muss.
Weniger Arbeit für mehr Lebensqualität
Schon allein wegen ihres Auftrags, Trends aufzuspüren, für Neues zu begeistern und Innovationen zu präsentieren, fürchtet gerade die MICE- und Eventbranche Veränderungen normalerweise nicht. Mancherorts sind sie sogar dringend angeraten, denn über die mentale und körperliche Belastung im Job eines „Eventlers“ haben wir hier schon des Öfteren berichtet. Ständige Einsatzbereitschaft, schlechte Bezahlung, drohender Burnout und fehlende Work-Life-Balance – womöglich kann all dem schon bald besser vorgebeugt werden.
Was die Arbeitswelt von morgen angeht, erweist sich die meist sorgenvoll betrachtete demografische Entwicklung in Deutschland sogar als förderlich. Denn die geburtenschwache junge Generation kann heute schon Forderungen an potenzielle Arbeitgeber stellen, die vor zehn Jahren noch undenkbar waren: Teilzeit- und Home-Office-Arbeit gehören genauso dazu wie Maßnahmen zur Gesundheitsförderung, Freizeitgestaltung und Kinderbetreuung. Auch Werte wie Nachhaltigkeit, Gleichberechtigung, Toleranz und Fairness nehmen dabei Fahrt auf, weil sich Umfragen zufolge zumindest die Studierenden der globalisierten Welt zusehends von konservativem, nationalem und gewinnorientiertem Denken verabschieden.
Natürlich hat der technologische Fortschritt im kapitalistischen Wertesystem nicht notwendigerweise die „Absicht“, die Lebensqualität des Menschen zu verbessern. Aber jeder, der etwa bei Amazon bestellt, Onlinebanking betreibt, ein Smartphone besitzt oder ein Navi nutzt, trägt zur digitalen Zukunft bei und muss dann eben auch die daraus folgenden Konsequenzen tragen: Konsequenzen, die glücklicherweise mehr denn je auch als Chancen begriffen werden können.
Die Zeit ist reif für die Zukunft
Denn nicht zuletzt schützt die zunehmende Digitalisierung – Ironie des Schicksals 2 – trotz des stetigen Wachstums der Weltbevölkerung die Ressourcen dieser Erde. Karl-Heinz Land spricht in diesem Zusammenhang von Digitalem Darwinismus und Dematerialisierung. Ein simples Beispiel macht deutlich, was damit gemeint ist: Stellen Sie sich einfach vor, was schlussendlich alles in Ihrem internetfähigen Smartphone steckt: Telefon, Hi-Fi-Anlage, Taschenlampe, Stadtplan, Radiowecker, Enzyklopädie, Kamera, Fernseher, Postamt, Armbanduhr, Tageszeitung, Wörterbuch, Gameboy und noch vieles mehr. Eine ganze Menge an Geräten, Diensten und Drucksachen also, die physisch überflüssig werden und so nicht mehr produziert werden müssen. Wenn sich jetzt noch die Sharing Economy mit ihren geteilten Fortbewegungsmitteln, Werkzeugen, Arbeitsbereichen und Wohnräumen zunehmend durchsetzt, mag sich die Erde tatsächlich ganz gut vom Menschen „erholen“ können. Sind das nicht eigentlich schöne Aussichten?
Die Welt steht ganz klar an einem Wendepunkt, vielleicht an ihrem größten seit dem Einsetzen der Industrialisierung. Nur, dass heute das individuelle Wohlergehen über kollektive Großmannssucht geht. Dass allein deswegen ein politischer Paradigmenwechsel erfolgen muss, ist die logische Konsequenz. Nicht ohne Grund plädieren kluge Köpfe aus Forschung und Wirtschaft für das bedingungslose Grundeinkommen, das nach Belieben aufgestockt werden kann. Finanzierbar wäre das auch, denn in einem marktwirtschaftlichen System werden ja auch weiterhin satte Gewinne erzielt werden. Am Ende wird die Verteilungsfrage vermutlich die entscheidende sein − wobei sich die Megareichen dieser Welt am Ende natürlich auch sozialen Frieden „erkaufen“ könnten, der noch immer wünschens- und erstrebenswert war.
Oder ganz anders betrachtet: Warum sollte der engagierte Betriebswirt nicht auch Gäste bewirten, wenn sich die Möglichkeit bietet und es ihm Spaß macht? Warum sollte die quirlige Eventmanagerin sich nicht auch als Raumausstatterin betätigen, wenn sie gute Ideen hat und es ihr Freude bereitet? Man kann die digitale Zukunft durchaus positiv sehen, wenn endlich die richtigen Weichen dafür gestellt werden. Dieses „heiße“ Thema wird ja auch lebhaft besprochen und diskutiert auf Kongressen und Foren wie dem MICE Club LIVE vom 18.−20. Juni in München.
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